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Rollenspielen-Broschüre | Praxisempfehlungen zur gender- und vielfaltssensiblen Projektgestaltung

Wer Projektangebote gestalten will, die sich mehrheitlich oder ausschließlich an Männer* mit Flucht-/Migrationsgeschichte richten, steht vor diversen Herausforderungen. Eine der größten Herausforderungen ist die Gefahr, dass die Angebote ungewollt zur Reproduktion von Genderstereotypisierungen und Kulturalisierungen bis hin zu rassistischen Zuschreibungen in der Mehrheitsbevölkerung beitragen können.

Insbesondere für weiße Fachkräfte und Ehrenamtliche ist es dauerhaft unerlässlich, dass sie ihr Engagement auf diese Reproduktionsgefahren hin überprüfen. Etablierte Bilder und (Vor-)Einstellungen zu Männern* mit Flucht-/Migrationsgeschichte sind kritisch zu hinterfragen, denn in einer Gesellschaft mit strukturellem Rassismus, der sich tagtäglich in rassistischen Stereotypisierungen in Nachrichtenmeldungen, Fernsehbildern, Musiktexten und Kinderliteratur reproduziert, ist die „Standard“-Vorstellung von Männern* mit Flucht-/Migrationsgeschichte eine rassistische Vorstellung.

Den kritisch-reflexiven Blick (auch) auf sich selbst zu richten, kann ungewohnt und unangenehm sein. Aber eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sozialisation und den eigenen Positionierungen und Verstrickungen in einer von Machtungleichheiten und Ungleichmachungen geprägten Gesellschaft ist wichtig, um nicht Gefahr zu laufen, Ungleichheiten zu reproduzieren und die Zielgruppe des Engagements zu verletzen oder zu verlieren.

In sozialen Projekten begegnen sich Mehrheiten und Minderheiten. Meist sind die Menschen, die Projekte (an-)leiten, mit mehr Privilegien ausgestattet als die Projektteilnehmenden. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Ausstattung mit Privilegien im Vergleich zur Zielgruppe kann zu Fragen führen wie: Welche Kämpfe musste ich nicht führen? Welche alltäglichen Negativerfahrungen musste ich nicht machen? Wäre ich nicht auch bisweilen wütend und empört, wenn mir ohne mein Verschulden Zugänge zu Bildung, Arbeit, Gesundheit und Wohnraum erschwert oder unmöglich gemacht werden würden? Sich diesen Fragen zu stellen, kann der Auftakt dafür sein, sich der Wirkmächtigkeit der eigenen Mehrfachprivilegien gewahr zu werden und ein Sensorium für mögliche (Mehrfach-)Benachteiligungen der Männer* zu entwickeln, mit denen in einem Projekt gearbeitet wird.

Bei der Gestaltung von Angeboten ist es wichtig, ein Gespür für die wirklichen Wünsche und Herausforderungen der Männer* zu entwickeln, die sich vielleicht hinter einem Schweigen oder einer anstrengenden Männlichkeits*inszenierung verbergen. Hier geht es um ein Bemühen der Entwicklung und Etablierung einer Empathie, sein Gegenüber auf ganz verschiedene Weisen wirklich ernst zu nehmen; sein Gegenüber als ein Subjekt anzuerkennen, mit Ideen und Veränderungskraft ausgestattet. Vielleicht brauchen die Männer* gar keine Hilfe. Vielleicht können sie ihre Herausforderungen auf ihre ganz eigene Art und Weise regeln.

Beobachten, zuhören und Offenheit ausstrahlen kann für die Männer* wertvoller sein als ihnen einen riesigen Koffer vor die Füße zu stellen voller Antworten auf Fragen, die sie gar nicht gestellt haben. Nicht Fachkräfte und Ehrenamtliche sind die Expert*innen der Lebenswelten der Männer*; die Männer* sind es selbst.

Ihre Erfahrungen, Einstellungen und Wissensbestände können in die Gestaltung von Angeboten miteingebracht und damit sichtbarer gemacht werden.

Gleichzeitig bleibt es wichtig, Reflexionsräume für Männer* anzuleiten, um Lernprozesse anzustoßen. Alle Männer*, ob nun weiß-privilegiert oder marginalisiert, müssen sich mit ihren (Teil-)Privilegien auseinandersetzen, die ihnen – ob nun gewollt oder nicht – in einer klar männer*dominierten Gesellschaft zukommen.

Gemeinsam über Männer*privilegien zu reden, kann für Männer* ungewohnt, unangenehm, anstrengend und schmerzhaft sein, aber dennoch muss es ihnen „zugemutet“ werden. Denn die Privilegien der Männer* gibt es nur auf Kosten aller Menschen, die nicht zur Gruppe der hegemonialen Männer* zählen bzw. gezählt werden. Es soll aber nicht darum gehen, Männer* bloßzustellen, sondern sie mit ihren (Teil-)Privilegien konstruktiv zu konfrontieren, so dass sie sich stark machen für eine Gesellschaft der Gleichberechtigung aller Genderidentitäten und klar gegen Sexismus und weitere Diskriminierungsformen positionieren.

Die Vision allen sozialen Engagements bleibt, dass alle Menschen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihr Leben entlang ihrer eigenen Rollenvorstellungen selbstbestimmt auszugestalten.

Ihre eigenen Rollen spielen in einer Gesellschaft der Vielen.  

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