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Rollenspielen-Broschüre – Interview mit Hassnae El Mezzawi | Teilhabe gestalten in Spannungsfeldern

Rollen wechseln. Brücken bauen. Damit kennt Hassnae sich aus. Sei es als Dolmetscherin, Ehrenamtliche, Sozialarbeiterin in Notunterkünften für Geflüchtete oder als Kurskoordinatorin bei einem Bildungsträger. Wir kennen uns. Gemeinsam haben wir 2016 in Notunterkünften mit Geflüchteten (und hierbei vor allem mit Männern*) gearbeitet, geflucht, gespielt, gelacht. Bei der Rollenspielen-Veranstaltung in Hannover arbeiteten wir nun zum ersten Mal wieder zusammen: In neuen Rollen als Moderationstandem. Welche Rolle spielte es dabei für Hassnae, die einzige Frau* im Raum gewesen zu sein? Wie geht sie damit um, dass viele Geflüchtete in ihr eine Brückenbauerin sehen? Welche Ausgrenzungserfahrungen hat Hassnae bisher in Deutschland gemacht und wo fühlt sie sich heimisch? 

 

Foto: Alireza Husseini

 

Interview mit Hassnae El Mezzawi | Arabische Übersetzung

 

Eine Gesprächsrunde mit Männern* zum Thema „Männlichkeiten*“ als Frau* mit mir zusammen zu moderieren; wie fühlte sich das für dich an? 

Ich war sehr gespannt darauf zu sehen, wie die Männer* wohl reagieren werden, wenn ein Mann* und eine Frau*, ohne dass es angekündigt war, zusammen die Veranstaltung moderieren. Wir beide kannten die Männer* nicht. Die Männer* kannten uns nicht. Und sie kannten sich untereinander teils auch nicht.

Ich hatte eine leitende Verantwortung bei der Veranstaltung und nicht etwa nur eine kleine Nebenrolle. Das fühlte sich sehr gut an. Nach dem Motto: „Bam, ich bin eine Frau* und ich habe hier was zu sagen!“.

Welche Rolle spielte es für die Männer*, dass du eine Frau* bist?

Ich bin mir gar nicht sicher, ob das für sie eine große Rolle gespielt hat. Sie haben sich nicht viel anmerken lassen. Niemand war besonders vorsichtig oder besonders höflich. Wichtig ist, es normal aussehen zu lassen, dass eine Frau* dabei ist. Es also nicht extra groß anzukündigen zum Beispiel.

Welchen Moment fandst du während der Veranstaltung überraschend gut? 

Als ich plötzlich mit Tischfußball spielen musste, weil ein Mann* eine Zeit lang verschwunden war. Der Mann*, mit dem ich dann im Doppel gespielt habe, hat mich motiviert und gesagt: „Komm, wir schaffen das. Wir gewinnen zusammen!“. Dabei kannten wir uns ja gar nicht und nicht jeder Mann* will in einem Turniermodus ausgerechnet mit der einzigen anwesenden Frau* im Doppel spielen. Da war ich sehr positiv überrascht. Wir haben zwar das Spiel verloren, aber er hat am Ende das Turnier gewonnen, was mich wirklich sehr gefreut hat.

Welchen Moment fandst du während der Veranstaltung überraschend irritierend?

Wir haben ja mit den Männern* ein „Positionsbarometer“ gemacht. Sie mussten sich zu von uns gemachten Aussagen im Raum positionieren, je nachdem, ob sie der Aussage zustimmen oder eher nicht zustimmen. Bei der Aussage „Wenn ich Vater werde, ist es mir egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird; Hauptsache das Kind ist gesund!“ haben sich zwei junge Männer* alleine auf der einen Seite positioniert und gesagt, dass sie sich unbedingt einen Jungen wünschen. Da war ich im ersten Moment sehr irritiert, weil ich weiß, dass viele Männer*, die so eine Haltung haben, diese Ansichten im öffentlichen Raum eher verbergen. Sie wissen, dass das hier nicht gerne gesehen wird. Aber im zweiten Moment habe ich dann gesehen, dass es Provokation war. Sie haben dort mit Absicht gestanden, nur um ein wenig zu provozieren. Das fand ich dann eher witzig.

 

Foto: Alireza Husseini

 

Jetzt war es ja eine sehr große Gruppe bei dieser Veranstaltung in Hannover mit über 20 Männern. Glaubst du, in einer kleineren Gruppe hätten diese beiden Männer* sich anders verhalten?

Definitiv. Vieles ist nur Gehabe, nur Getue. In der Gruppe machen sie so was. Aber wenn ich draußen mit den Männern* gesprochen habe, war der Ton, die Wortwahl, anders. Sie waren weicher, respektvoller, weil sie nicht das Gefühl hatten, dass sie sich vor jemanden beweisen müssen. Und ich habe ihnen gegenüber vorher ausgestrahlt, vor mir braucht ihr euch nicht zu beweisen.

 

Foto: Alireza Husseini

 

Was hast du bei der Veranstaltung über die Männer* gelernt?

Ich habe gelernt, dass wir sie teilweise falsch einschätzen. Dass sie durchaus über Männlichkeitsthemen sprechen wollen. Wir sind ja gestartet damit, dass die Männer* sich mit von uns vorab ausgelegten Bildkarten kurz vorstellen. Und da dachte ich schon, das ist vielen der Männer* viel zu persönlich. Aber viele waren gleich sehr offen und haben Persönliches mit der Gruppe geteilt.

Was wolltest du den Männern* mit auf den Weg geben?  

Mir war es wichtig, ihnen als Frau* zu sagen, dass sie nicht diese Bilder und Vorstellungen von Männern* haben müssen, die ihnen vorgesetzt werden. Dass sie nicht „hart“ sein müssen, um ein Mann* zu sein. Denn auch ich als Frau* sehe einen Mann* immer noch als Mann* an, wenn er vor mir Gefühle zeigt, Trauer und Tränen zulässt.Wenn ein Mann* vor einer Frau* weint, empfinde ich das als ein großes Vertrauen. Männer* gefallen mir, wenn sie echt sind, wenn sie Gefühle zeigen. Und nicht, wenn sie wie ein Stein sind. Was soll ich mit solch einem Mann*?

Wie würdest du eine Gesprächsrunde aufsetzen, die sich ausschließlich an Männer* richten soll, um mit ihnen über Vorteile und Herausforderungen von Männlichkeit(en) ins Gespräch zu kommen?

Ich würde erst Vertrauen aufbauen und Verständnis für ihre Situation und ihre Herausforderungen zeigen. Ich würde mit meinen eigenen Lebensbeispielen arbeiten; damit, dass ich auch einen Vater habe, dass ich Brüder habe. Und mein Vater und meine Brüder kommen mit ihren Problemen auch zu mir und fragen mich um Rat als Tochter und als Schwester. Dann würde ich mit ihnen über ihre Privilegien sprechen. Dabei würde ich einen seichten Einstieg wählen, so dass nicht das Gefühl aufkommt, dass es um Anschuldigungen gehen soll. Ich würde sie dann dazu animieren, dass sie mir von selber ihre Privilegien aufzeigen. Das könnte auch über die „Angeberschiene“ stattfinden, das würde ihnen gefallen. Und so unterstelle ich ihnen als Frau* nicht etwas, sondern sie berichten selbst von sich. Wenn sie es selber erzählt haben, dann kann ich darauf eingehen und sagen: „Du hast das ja gerade gesagt!“.

Was brauchen aus deiner Sicht Männer* mit Fluchterfahrungen hier in der ersten Zeit?

Sie brauchen erstmal ein Stück Vertrauen. Die aufnehmende Gesellschaft hat oft Vorurteile gegen die Männer* und ist nicht einfühlsam genug ihnen gegenüber. Vielen der geflüchteten Männer* geht es nicht gut. Sie haben vielleicht schreckliche Dinge gesehen, können posttraumatisch belastet sein. Sie können ihre Frau* oder ihre Kinder verloren haben. Das macht die Männer* in diesem Moment eigentlich total labil. Und trotzdem müssen sie so tun, als ob sie stark sind. Das macht die Männer* am meisten kaputt. Dass sie nicht, so wie viele der Frauen*, einfach ihre Trauer, ihre Wut, ihre Ohnmacht rauslassen können. Dass sie immer eine Maske aufsetzen müssen, dass sie nicht ihren Schmerz in der Öffentlichkeit zeigen dürfen. Deshalb sollten wir sie mehr als Menschen und weniger als Männer* ansehen. Und man sollte den Männern* auch einfach die Chance geben, etwas zu machen. Ich habe das in meiner Arbeit in Camps und Übergangswohnheimen gesehen. Viele Männer* haben teilweise 18 Stunden geschlafen. Warum? Weil sie nicht ertragen konnten, dass sie, in ihren Augen, einfach nutzlos sind. Sie sind es gewöhnt, zu arbeiten, etwas zu tun, etwas zu schaffen, sich einfach nützlich zu fühlen.

Viele geflüchtete Männer* sind Ausgrenzungen, Abwertungen und Rassismen ausgesetzt. Ihre Männlichkeitsvorstellungen werden als „fremd“ und „rückständig“ konstruiert und homogenisiert. Auch die, oftmals nur vermuteten, Erziehungsstile von Vätern werden als extrem defizitär beargwöhnt. Was sind deine Gedanken dazu? 

Vieles machen die Männer* als Väter nur, weil sie Druck von anderen Männern* bekommen. Da fragt der eine Mann* den anderen Mann*: „Warum trägt deine Tochter kein Kopftuch? Meine trägt eines!“. Dann denkt der Mann* sich: „Oh, jetzt bin ich nicht mehr Mann* genug, weil ich es nicht schaffe, meine Tochter davon zu überzeugen, ein Kopftuch zu tragen. Also zwinge ich sie dazu. Damit es nach außen so aussieht, als ob ich genauso stark bin wie der andere Mann*. Dabei tut es mir eigentlich im Herzen unglaublich weh, dass meine Tochter unglücklich ist“. Von Vätern wird hier sehr viel erwartet. Sie sollen ihre Töchter in Deutschland ausgehen lassen, wie es hier oft üblich ist.  Nach dem Motto: Hier gibt es die Freiheiten und hier ist alles sicher für deine Töchter. Aber das ist der Blick der Menschen, die schon immer in Deutschland gelebt haben. Für diese Menschen ist Deutschland ja auch ein sicheres Land. Aber für viele geflüchtete Väter ist es das nicht bzw. noch nicht! Denn sie können noch nicht die Sprache und sie kennen noch nicht die Strukturen. Für die Männer* kann Deutschland noch sehr beängstigend sein. Sie können sich hier noch hilflos fühlen. Und in dieser Hilflosigkeit kann der Grund liegen, weshalb sie vorsichtig sind bei diesem Thema.

Nicht nur an die Vaterrolle, sondern auch an die Rolle als Ehemann werden viele Erwartungen geknüpft. Wie gehen aus deiner Sicht die Männer* damit um?

Von jeder Seite wird von den Männern* etwas erwartet. Sie müssen sich viel stärker beweisen und rechtfertigen als die Männer* ohne Flucht-/Migrationserfahrungen. Viele der Männer* können den unterschiedlichen Rollenerwartungen und -anforderungen gar nicht entsprechen, weil diese sich teilweise auch widersprechen. Viele der Männer* kennen die Art und Weise noch gar nicht, wie sie sich zu ihren Frauen* hier in Deutschland verhalten sollen. Und gleichzeitig kennen viele der Frauen* diese Art und Weise auch noch gar nicht. Oft heißt es: „Du musst deine Frau* aus dem Haus lassen!“. Dabei ist es bei uns in den arabischen Ländern, und gerade im Irak, ein Privileg als Frau*, nicht aus dem Haus zu müssen. Denn das heißt, du hast Leute, die alles für dich machen. Das ist ein Statussymbol.

Lass uns über die Frauen* reden. Bei aller Heterogenität: Welchen Rollenzuschreibungen sind viele der geflüchteten Frauen* in Deutschland ausgesetzt?

Viele der Frauen* werden total in die Opferrolle gedrängt von der Gesellschaft. Sie werden mehr zu einem Opfer gemacht als sie es tatsächlich sind. Ich als Frau* finde es fast schon unverschämt, wie ich oftmals zu einem Opfer gemacht werde.Gleichzeitig machen aber auch Frauen* sich untereinander zu Opfern. Viele Frauen* haben das Gefühl, dass sie sich als schwach darstellen müssen, weil sie denken, dass das von ihnen so erwartet wird, damit wiederum die Männer* sich stärker fühlen können. Weiblich sein heißt dann, fragil sein. Ich selbst bin eine selbstbewusste Frau*. Manchmal habe ich das Gefühl, dass einige Männer* davor ein bisschen Angst haben und Abstand zu mir nehmen.

Welchen Zuschreibungen als Frau* bist du ausgesetzt?

Oft sind es Zuschreibungen der weißen Frau*. Die sind nervig. Sie vermittelt mir das Gefühl, dass sie einer „armen, unterdrückten, muslimischen“ Frau* helfen muss. Dabei spricht sie sich eine viel höhere Position zu und sagt: Ich bin besser als du und ich komme jetzt, um dir zu helfen. Dann frage ich mich, warum?! Ich habe dich nie um deine Hilfe gebeten!

Welche Rollendynamiken löst das Ankommen in Deutschland bei geflüchteten Frauen* aus?

Für viele der Frauen* gibt es hier neue Freiheiten. Sie können einiges infrage stellen. Sie können Forderungen stellen. Sehen die Frauen*, dass ihre Männer* hier nun auch in gewisser Art und Weise oft hilflos sind, löst das Konflikte aus. Manche Frauen* machen ihre Männer* dann psychisch runter. Sie sagen zum Beispiel: „Ich brauche dich gar nicht mehr. Du kriegst ja nicht mal einen Job. Ich kann auch zum Jobcenter gehen. Ich lasse mich von dir scheiden. In Syrien haben meine Eltern mich gezwungen, dich zu heiraten, jetzt brauche ich dich nicht mehr“. Oder sie stürzen sich direkt auf den „Schwachpunkt“ des Mannes* und greifen ihn damit an, dass er nun kein Versorger und Beschützer der Familie mehr ist, dass er im Prinzip gar nichts mehr ist. Das kratzt dann natürlich sehr an der Ehre der Männer* und ist sehr verletzend für sie. Denn sie sind ja nur hier in Deutschland, weil sie ihre Familie schützen wollten. Und bis sie die Sprache gut können und einen Job finden, vergeht oft Zeit. Einige Frauen* drohen ihren Männern*: „Wenn du das und das nicht machst, dann verlasse ich dich! Ich lasse mich scheiden und nehme die Kinder mit. Wir sind ja jetzt in Deutschland. Da kann ich das!“. In unbeobachteten Momenten sind viele der Frauen* also durchaus machtvoll und nicht immer nur in der Opferrolle.

Wie hast du die vermehrten Fluchtbewegungen 2015/16 wahrgenommen?

Ich war mittendrin. Erst ehrenamtlich, dann als Sozialarbeiterin und Dolmetscherin in Camps und später in einem Übergangswohnheim. Ich habe Leute gesehen, die waren noch keine 72 Stunden in Deutschland. Die hatten noch die Klamotten an, die sie auf der Flucht anhatten. Ich habe total schreckliche Sachen gesehen, ich habe aber auch total schöne Sachen gesehen. Viele haben mir, ohne Vorwarnung, einfach Bilder von ihren toten Familienangehörigen gezeigt. Trotzdem ist das immer für mich auch ein Beweis gewesen, dass die Leute in mir jemanden sehen, dem man das erzählen kann und dem man auch vertrauen kann, bei dem man sich vielleicht einen guten Rat holen kann. Für mich persönlich, auch wenn das jetzt total makaber klingt, war es eine tolle Erfahrung, Für mich als Person. Sicherlich nicht für die anderen Leute. Einfach, weil man den Leuten was geben kann. Ich finde es nach wir vor toll, eine Brücke zwischen zwei Inseln zu sein.

Welche Ausgrenzungserfahrungen, Diskriminierungserfahrungen oder Rassismuserfahrungen hast du schon gemacht?

Ich habe alles drei schon gemacht. In Deutschland und im Libanon wurde ich diskriminiert. Im Libanon war ich immer die Deutsche und hier in Deutschland war ich die „Araberin“, „Ausländerin“. Einmal sagte am Flughafen in Deutschland ein Bundesbeamter zu mir: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“. Da habe ich gesagt: „Sie auch!“.  Was wäre denn gewesen, wenn mein Deutsch nicht so gut wäre. Es gibt immer ein bestimmtes Bild und wenn du davon abweichst, dann wirst du gleich negativ betrachtet.  Als Muslima wurde ich oftmals ausgegrenzt. Es hieß beim Ramadan: Wie kannst du denn fasten? Dann kannst du dich gar nicht konzentrieren! Aber mittlerweile legen die Leute Intervallfasten von 16 Stunden ein. Das ist genauso wie unser Fasten. Wenn wir nicht essen, geben wir unserem Körper die Ruhe. Viele dieser Fragen werden nur gestellt, um dich zu verletzen! Aber anderen Leuten weh zu tun, ist meist nur die Angst, dass einem selbst wehgetan wird. Vor Ausgrenzungen kann man sich nicht retten. Gibt es keinen Grund für Ausgrenzungen, wird einer erfunden. Das muss man mit viel Humor nehmen, denn dann macht es den anderen keinen Spaß mehr.

Worüber definierst du deine Identität? Welche Heimaten hast du? 

Ich definiere mich über das, was ich erlebt und erfahren habe. Vor allem über meine wichtigen Entscheidungen. Heimat ist für mich überall, wo ich gute Erinnerungen habe. Überall, wo ich schönes erlebt habe oder wo Menschen sind, die mir wichtig sind. Auch zum Beispiel das Heim für Geflüchtete, in dem ich gearbeitet habe. Da habe ich mich wertgeschätzt und gut gefühlt. Heimat ist für mich nicht fest. Auch der Libanon ist meine Heimat, denn da wohnt ein Großteil meiner Familie.

Herzlichen Dank für Dein Engagement und für das Interview!

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